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Oasenzeit

Zistrose - Duft und Schönheit


Wenn aber die bestimmte Zeit für eine jede Jungfrau kam, dass sie zum König Ahasveros kommen sollte, nachdem sie zwölf Monate nach der Vorschrift für die Frauen gepflegt worden war – denn ihre Pflege brauchte so viel Zeit, nämlich sechs Monate mit Balsam und Myrrhe und sechs Monate mit kostbarer Spezerei und was sonst zur weiblichen Pflege gehört –, dann ging die Jungfrau zum König, und alles, was sie wollte, musste man ihr geben, dass sie damit vom Frauenhaus in den Palast des Königs ginge. Und wenn sie am Abend hineingegangen war, ging sie am Morgen von ihm in das andere Frauenhaus, in die Obhut des Schaaschgas, des königlichen Kämmerers, des Hüters der Nebenfrauen. Und sie durfte nicht wieder zum König kommen, es sei denn, sie gefiele dem König und er ließe sie mit Namen rufen.

Ester 2

Sechs Monate mit Balsam und Myrrhe, mit kostbarer Spezerei und was sonst zur weiblichen Pflege gehört. Wir wissen leider nicht, wie das genau ablief und wie Ester sich dabei gefühlt hat. Viele Frauen heute wären neidisch auf so viel Zeit nur für die Schönheit. 

Und tatsächlich scheint es nichts besonderes gewesen zu sein, was Ester da wiederfährt. Die Schönheitspflege im alten Israel war nämlich fester Bestandteil des täglichen Lebens; ebenso wie Kleidung und Nahrung gehörte sie zu den Grundbedürfnissen antiker Menschen. Sie stand dabei stets in engem Zusammenhang mit der Gesundheitspflege und mit den rituellen Handlungen. Ursprünglich diente das Einölen oder Salben der Haut vor allem dem Schutz gegen Sonne, Kälte und dem scharfen Wüstensand. 
Aber natürlich ging es auch um die Schönheit. Sowohl Frauen als auch Männer bedienten sich der pflegenden Spezereien, um das Glänzen der Haut oder der Haare zu erreichen und sich mit wohligen Düften zu umgeben. Frauen aller sozialen Schichten war es möglich, Salben unterschiedlicher Preiskategorien für ihre Schönheitspflege zu erwerben und anzuwenden.
In der Bibel sind es neben Ester die wohlhabende Witwe Judith, Susanna und Rut, deren Geschichten mit Duft und Schönheit in Verbindung stehen. Von Salben und Ölen, Düften, Spezereien und duftendem Räucherwerk ist in der Bibel oft zu lesen. Auch in der Oasenzeit haben wir uns bereits damit beschäftigt. 

Nun wollen wir uns aber der Pflanze widmen, um die es heute geht. Myrrhe und Balsam sind im Bibeltext erwähnt. Von der Myrrhe haben wir in der Dezember-Oasenzeit gehört. Sie ist eine der drei Gaben der Weisen aus dem Morgenland. 
Balsam steht im Alten Testament zum einen für den Balsamstrauch (Commiphora gileadensis), der ein würziges Harz produziert, aber in Wüsten und Halbwüsten wächst, also nicht hier im Bibelgarten. Balsam ist aber auch ein allgemeiner Begriff für Wohlgeruch. „Balsamischer Duft“, ein Ausdruck den wir kennen. 

Zwei Pflanzen hier im Bibelgarten liefern duftende Harze: Der Amberbaum mit dem Harz Styrax und die Zistrose mit dem Harz Labdanum oder Ladanum. Beide sind mögliche Bestandteile der Behandlung Esters.

Die Zistrose ist meine erklärte Lieblingspflanze hier im Bibelgarten und sie blüht jetzt. Allerdings öffnet sie ihre Blüten nur im Sonnenschein. Es lohnt sich, ihretwegen hierher zu pilgern. Sie bezaubert mit ihren zarten weißen Blüten, die sich nur für einen Tag öffnen, aber in großer Zahl vorhanden sind. Ihre Anziehungskraft gilt auch für zahlreiche Insekten, die sich wie betrunken in den Blüten tummeln. Hummeln, Bienen, Schwebfliegen und Käfer haben es vor allem auf die Pollen abgesehen. 

Wer in der Mittagshitze die Lorbeerblättrige Zistrose streichelt, kommt in den Genuß des Duftes von Ladanum, wenn auch in abgeschwächter Form. Es gibt an die 30 Arten der Zistrose - die, aus der das Öl gewonnen wird, ist Cistus ladanifer. Sie ist nicht so frosthart wie unsere lorbeerblättrige Zistrose. Hauptsächlich wachsen Zistrosen auf trocken steinigen Böden. Sie bilden einen Hauptbestandteil der Garigue oder auch Macchia und sind im gesamten Mittelmeerraum und auf den Kanaren verbreitet. Der antike Gelehrte Plinius schrieb in seiner Naturlehre: „Wie kann etwas so gut riechen, was da herkommt, wo es am meisten stinkt: aus dem Maul der Ziegen“. Dies deutet auf die Art der Ernte hin: Man ließ Ziegen in der Macchia weiden. Das klebrige Harz blieb an den Ziegenbärten hängen. Mit speziellen Striegeln wurde es daraus gekämmt. Auch wenn das heute anders gehandhabt wird, ist die Ernte ein mühsames Geschäft. Man benötigt je nach Jahreszeit zwischen 1000 und 2000 Kilo frisches Pflanzenmaterial um ein Liter ätherisches Öl zu gewinnen. Der Duft von Labdanum ist warm, würzig, es soll nach Kräutern duften, mit einem Hauch von Obst und Karamell versehen. Geräuchert entfaltet das Harz einen zarten, lieblichen Duft. Etliche teure Parfums sind im Handel, die Ladanum enthalten. Dabei dient die Zistrose als Basisnote mit erotischer Ausstrahlung. Ach ja, Ester sollte ja den Perserkönig verführen.

Aber nicht nur das kostbare Öl, auch die Blätter besonders der kretische Zistrose sind gefragt. Zistrosenblätter enthalten Polyphenole und Gerbstoffe, die verschiedenen Studien zufolge antibakteriell und antiviral wirken und Schwermetalle wie Cadmium ausleiten können. Unter anderem sollen sie die Rachenschleimhaut vor Infekten schützen. 

Unsere Ester wird vor allem äußerlich mit dem Öl behandelt worden sein, denn Ladanum-Öl war bekannt für seine regenerierende und faltenreduzierende Wirkung. Es macht die Haut weich und nährt sie, hat antimikrobielle und antiseptische Eigenschaften. Das dürfen Sie nachher gern mit einem Tropfen ausprobieren und sich schön fühlen wie Ester. 


Text von Andrea Müller-Bischoff 

 

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