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Oasenzeit

Der Mandelzweig - aufblühende Hoffnung!

Ihr Lieben, als wir diese Oasenzeit vorbereiteten und sie unter das Thema „Aufblühende Hoffnung: der Mandelzweig“ stellten, ahnten wir nicht, dass der heutige Tag eine Zeitenwende in Geschichte unseres Kontinents bedeutet. Heute morgen hat Russland begonnen, die gesamte Ukraine anzugreifen.  Wir alle schauen bang, mitfühlend und entsetzt auf die Situation in der Ukraine.

Wie soll ich da von Hoffnung reden? Ganz ehrlich, ich kann es nicht. Mir fehlen heute die Worte.
Ich muss mir Worte leihen. Will nachbuchstabieren, was ein anderer an Worten gefunden hat. Einer, der so viel Schweres erleben musste in seinem Leben. Einer, der selbst Opfer von Gewalt war.

Es ist der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin.  Als "Kind stürmischer Epochen" hat sich Schalom Ben-Chorin (1913-1999) einmal bezeichnet. Geboren wurde er 1913 in Deutschland. Er hieß damals Friedrich Rosenthal. In München wuchs er in einem assimilierten jüdischen Elternhaus auf. Lediglich am jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana und am Versöhnungstag Jom Kippur kramte der Vater den Zylinder hervor und ging mit dem staunenden Fritz in die Synagoge. Er ahnte nicht, dass sein Sohn heimlich die im Küchenschrank verstaute hebräische Bibel las. In der Weihnachtsnacht 1928 erklärte der 15-jährige Fritz Rosenthal der Familie, den bürgerlichen "Klimbim" mache er nicht mehr mit. Er stapfte durch den tiefen Schnee zu einer befreundeten, streng orthodoxen Familie, wohnte dort ein Jahr, schloss sich einer zionistischen Jugendgruppe an und nannte sich fortan Schalom Ben-Chorin: "Friede, Sohn der Freiheit". Seitdem trug er den Frieden im Namen.

Er machte eine Buchhändlerlehre, studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Germanistik, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Philosophie sowie vergleichende Religionswissenschaften und schrieb Lyrik. Doch 1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht. Ben-Chorin wurde mehrfach verhaftet. Während des Boykotts jüdischer Geschäfte etwa war er mit einer Kamera durch München gelaufen. SA-Männer schlugen ihn zusammen und warfen ihn ins Polizeigefängnis.

1935 gelang ihm mit seiner Frau die Ausreise nach Jerusalem, wo er als Journalist, Zeichner, Dichter und Theologe arbeitete. Weiterhin schrieb er fast nur in deutscher Sprache. Lediglich zwei seiner Bücher erschienen auf Hebräisch. "Isar und Jordan münden in mein Herz", stellte er wehmütig fest.

1940, mitten im zweiten Weltkrieg dichtete er diese Zeilen:  „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,  ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“ Die Inspiration für diese Verse gab ihm ein Mandelbaum. Dieser Baum stand direkt hinter seinem Haus. Er konnte ihn aus seinem Arbeitszimmer sehen. Schalom Ben-Chorin sah nach draußen und sah, wie die Mandelblüten auf einmal aufgingen. Vorwitzig wagte sich eine Blüte nach der anderen hervor. Er dachte: „Ist es nicht ein Wunder, dass jedes Jahr wieder die Blüten des Mandelzweiges sich als erstes vorwagen. Sie sind ein Zeichen, dass der graue Winter nun vorbei ist und dass der Frühling beginnt“ Er sah diese zarten Blüten, und sie verzauberten sein Herz. 

 Sie erinnerten ihn daran, dass es auch in schrecklichen Zeiten Vorboten des Frühlings gibt. Sie sind ein Zeichen dafür, dass am Ende das Leben siegt. Sie sind ein Zeichen dafür, dass am Ende die Liebe siegt. Schalom Ben-Chorin hat an dieser Hoffnung festgehalten. Trotzig fast und oft gegen den Augenschein. Er hat dabei aber nicht einer naiven Hoffnung das Wort geredet. Er war ja selbst Opfer. Er hat selbst Familie in den Vernichtungslagern der Deutschen verloren. Auch Ben-Chorin stellte die klassische Frage: „Können wir nach Auschwitz noch glauben? Können wir Gott vergeben, dass er dem entmenschten Menschen nicht gewehrt hat?" Die einzig mögliche Antwort fand er im Neuen Testament, bei Paulus im Hohelied der Liebe: Die Liebe "hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf." Denn der Hass dürfe nicht weitergegeben werden von Generation zu Generation.

"Muss man nicht ein bisschen verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben in dieser Welt?", fragte er zweifelnd - und schrieb ein Gedicht: "Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering, in der trübsten Zeit."
Jahre später komponierte der Liedermacher Fritz Baltruweit dazu eine Melodie. Einmal traf er den jüdischen Dichter in Jerusalem. Dabei spielte er ihm das Lied vom Mandelbaum vor.  Er berichtet später: „Wir haben einen wunderschönen Abend zusammen gehabt  - und Schalom Ben Chorin erzählte dann, dass dieser Baum irgendwann umgehauen wurde und Platten in den Hof gelegt wurden. Doch eines Tages haben sich die Wurzeln des Baumes wieder den Weg durch die Platten gebahnt. Er sagt dazu: ‚Die Hoffnung ist nicht totzukriegen’.

Für diese Hoffnung hat er gelebt. Er hat für die Versöhnung von Jude und Christen gewirkt, für die sich hier in unserem Dorf auch der Synagogenverein einsetzt.

Singen wir uns heute Abend hinein in sein Lied von der Hoffnung gegen allen Augenschein.

Der Mandelbaum blüht im Frühjahr als erster und scheint im Winter gar nicht »geschlafen« zu haben. Während die anderen Bäume und überhaupt die ganze Natur noch schläft, ist er erwacht und beginnt zu blühen und zu treiben. Er ist darum ein Symbol des Wiedererwachens der Natur. In der Bibel steht er deswegen auch als Symbol dafür, dass aus etwas, was aussieht wie tot, neues Leben erwachsen kann. Im Buch Jeremia lesen wir, wie Gott dem Propheten Mut macht. Gott lädt ihn ein, genau hinzuschauen. Wie die Mandelblüten am scheinbar toten Holz zart zu blühen anfangen, so wird auch Gottes Wort sich immer wieder gegen Gewalt und den Tod durchsetzen.

Ich lese aus dem ersten Kapitel bei Jeremia:

"Und es erging das Wort des HERRN an mich: „Was siehst du, Jeremia?“ Ich antwortete: „Ich sehe einen Mandelzweig.“ Da sagte der HERR zu mir: „Du hast recht gesehen. Ich wache über meinem Wort und werde es durchführen.“


Ansprache von Pfarrerin Dr. Tanja Schmidt

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