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Oasenzeit

Der Feigenbaum und die Vision vom Frieden


In diesem heißen Sommer haben wir ihn besonders genossen - den Feigenbaum neben unserer Terrasse. Sein dichtes Blattwerk ersparte uns den Sonnenschirm, sorgte für Luftbewegung und spendete köstliche Früchte, sogar noch im November! Die wir mit Vögeln und Wespen gern teilten. So ähnlich stelle ich es mir vor, wenn Micha den Menschen, der im Frieden lebt, unter Weinstock und Feigenbaum sitzen sieht. Beide Pflanzen stehen symbolisch aber nicht nur für Frieden, sondern auch für Glück und  allumfassend gutes Leben, das allen Menschen zuteil werden soll.

„Nicht vom Schlaraffenland ist die Rede“, sagt Jürgen Ebach 1980. „Erhofft wird dagegen eine Zeit, in der der Einzelne in seiner Gemeinschaft den Ertrag seiner Arbeit genießen kann. Einer Arbeit, die keine Zwangsarbeit ist, die nicht zerstört, die unter nicht entfremdeten Bedingungen getan werden kann.“ Dass Micha in diesem Bild den Feigenbaum als Symbol verwendet, ist sicher kein Zufall.

Beschäftigen wir uns also mit dem Baum, den auch hier bei uns jeder kennt und schätzt.

Zu Beginn einer Führung im Bibelgarten stelle ich gern ein paar Fragen. Eine davon ist die nach der allerersten in der Bibel erwähnten Pflanze. Als Antwort wird oft der Apfelbaum vermutet, als Baum der Erkenntnis. Aber Oasenzeit-BesucherInnen wissen es längst, das stimmt nicht. Baum und Frucht werden namentlich gar nicht genannt.
"Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze."
Es geht hier also um das allererste Kleidungsstück - das Feigenblatt. Welcher Frucht Adam und Eva nicht widerstehen konnten - da existieren viele Interpretationen. Nicht unwahrscheinlich, dass es die Feige war!

Insgesamt etwa 50 mal sind Baum oder Frucht in der Bibel erwähnt, und nicht nur bei Micha im Zusammenhang mit dem Weinstock. Ein deutlicher Hinweis darauf, wie bedeutsam die Feige schon im Altertum war. Sehr wahrscheinlich ist sie die älteste kultivierte Nutzpflanze überhaupt, älter als das Getreide. In einem etwa 11400 Jahre alten Haus unweit von Jericho entdeckte man bei Ausgrabungen versteinerte Feigenfrüchte. Damit fanden Archäobotaniker heraus, dass die Menschen der Jungsteinzeit schon Feigenbäume gezielt über Stecklinge vermehrten.

Der Ursprung der Feige liegt in Kleinasien und den angrenzenden Gebieten. Im 3. Jahrhundert vor Christus werden Feigen als Importware aus dem Heiligen Land nach Ägypten gehandelt. Die Römer brachten sie mitsamt dem Weinstock und anderen Obstsorten nach Mitteleuropa. Frühe konkrete Nachweise eines Feigenanbaus stammen aus dem Hochmittelalter. In der Barockzeit waren in Europa exotische Schlossgärten mit Orangerien wichtiger Bestandteil des Lebensstils und so entwickelte sich in dieser Zeit ein regelrechter Boom in der Kultur verschiener Feigen-Sorten. Versaille und auch Sansscouci sind die berühmten Orte, an denen gezüchtet und die Ergebnisse dokumentiert wurden.

Was macht aber nun die Feige so besonders und seit alters her begehrt? Es ist ihre Verfügbarkeit im gesamten Jahresablauf. Die Früchte werden mehrfach im Jahr fortlaufend geerntet und können frisch verzehrt werden. Aber noch wertvoller waren sie im getrockneten und gepressten Zustand. Ihr hoher Zuckergehalt sorgt für lange Haltbarkeit. Da Zucker zu biblischen Zeiten noch unbekannt war, wurden Feigen wie auch Rosinen, Datteln und Honig zum Süßen von Speisen genutzt. Nomaden und andere Reisende des Altertums schätzten sie als schnellen und preiswerten Energiespender. Und sogar als Heilmittel: Im Buch Jesaja wird beschrieben, dass König Hiskija ein Pflaster aus Feigenbrei angelegt wird, um eine Entzündung zu heilen.

Hochinteressant ist alles Botanische um die Feige, besonders der Bestäubungsvorgang. Infolge jahrtausendelanger Kultur sind aus der Wildfeige zwei Varietäten der Kulturfeige entstanden: die Ess- oder Hausfeige Ficus domestica und die sogenannte Bocksfeige, die ungenießbar ist. Für die Bestäubung ist das Weibchen einer ganz bestimmte Gallwespenart zuständig...
Darüber ließe sich lang referieren. Das erspare ich Ihnen, zumal heute viele wohlschmeckende Züchtungen ohne Bestäubung auskommen, auch die kälteresistenten Sorten, die hier wachsen.

Bei der Erwähnung der Feige in der Bibel ist nicht immer klar, ob es sich um die Hausfeige handelt oder die verwandte Eselsfeige oder Sykomore. Deren Früchte sind auch essbar, aber weniger wohlschmeckend. Die riesigen Bäume schätzte man als Schattenspender und Lieferant wertvollen Holzes. In unseren Breiten ist er wegen seiner Kälteempfindlichkeit nicht anzutreffen. Der Bibelgarten hat eine kleine Sykomore im Topf geschenkt bekommen, die sich aber schon im Winterquartier befindet.

„Jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie schrecken.“
Wir hier können solche Momente genießen und uns in Sicherheit wiegen. Für viele, viele Menschen und andere Kreaturen auf Erden gilt das leider nicht.
„Sag mir wo die Blumen sind“ - Von der Sinnlosigkeit des Krieges erzählt das weltbekannte Antikriegslied, das wir jetzt singen. Es gilt als das Lied der Friedensbewegung. Pete Seeger hatte 1955/56 den englischen Text gedichtet und vertont. Angeregt wurde er durch Sholochovs Roman „Der stille Don“, oder auch durch ein ukrainisches Volkslied, wie andere Quellen sagen. Jeder kennt es, seit Marlene Dietrich das Lied mit deutschem Text auf der Unicef-Gala 1962 sang, den Tränen nahe. „Ach, wird man je verstehn?“

Text von Andrea Müller-Bischoff

Zu dieser Oasenzeit gibt es auch eine » Ansprache von Gabriele Mihlan-Penk.

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