Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Oasenzeit

Schaut die Lilien auf dem Felde an


Schaut die Lilien auf dem Felde an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. 

Ja, was soll das denn sein? Lilien auf dem Felde - wer hat sowas je gesehen!

Wir kennen Lilien kultiviert im Garten oder in Sträußen mit schwer duftenden Blüten in allen Farbvariationen. Meist handelt es sich dabei um Züchtungen aus japanischen Wildblumen. Ich muss gestehen, das sind nicht meine Lieblingsblumen.

Wenn in der Bibel von der Lilie die Rede ist, können wir nicht sicher sein, um welche Blume es sich genau handelt. Im Hohenlied wird die Schönheit der Geliebten mit der Lilie verglichen - hier könnte Lilium candidum gemeint sein, die weiße Lilie. Die einzelne Blüte ist nämlich von außerordentlicher Schönheit und betörendem Duft. Die Zwiebelpflanze besiedelt im Mittelmeerraum die im Sommer extrem trockenen und harten Lehmböden von Meereshöhe an bis in montane Stufen. Heutzutage ist sie als Wildblume allerdings nur noch selten anzutreffen. Auch andere ebenfalls weiß blühende wilde Arten oder auch der Affodil könnten gemeint sein. Die Bibel wurde nicht von Botanikern verfasst und Luthers Übersetzung speist sich auch eher aus seiner eigenen mitteldeutschen Erfahrung.

Hier in unserem Bibeltext haben wir es aber mit den „Lilien auf dem Felde zu tun“ und damit ist keine bestimmte Blume gemeint. Es geht auch nicht um Gartenpflanzen, sondern um wildwachsende Blumen, die nach dem Vertrocknen von der armen Bevölkerung gerne als Brennmaterial genutzt wurden. Die prächtige Erscheinung, die mit der Herrlichkeit Salomos nicht konkurrieren kann, entsteht eher aus der Menge und Vielfalt, dem Reichtum an Formen und Farben. Ein Symbol für die Schönheit und Fruchtbarkeit der Schöpfung.

Aus der Blumenwelt Israels kann man erschließen, welche gemeint sind. Zum Beispiel das Kronenwindröschen. Früh im Jahr nach dem Winterregen leuchten seine scharlachroten Blüten hervor. Der Klatschmohn ist häufig auf den Feldern anzutreffen, so wie inzwischen wieder auf einheimischen Feldern und auch im Getreidefeld im Bibelgarten. Die Blüte des Mohns verkörpert besonders die Vergänglichkeit der Blütenpracht. Denn schon nach einem Tag sind die großen Blütenblätter auf den dünnen, grünen Stängeln verblüht.

Der scharlachrote Hahnenfuß löst das Kronenwindröschen in der Blüte ab. Die Hundskamille setzt unzählige gelb-weiße Farbtupfer auf die Felder. Dazu gesellt sich die gold-gelbe Kronenmargarite. Diese sind die häufigsten „Blumen des Feldes“ in Israel und bestimmen das faszinierende Bild - wie ein Traum, denn bald ist die Pracht vorbei, die Hitze des Sommers verwandelt die blühende Wiese in eine trockene Steppe.

Kommen wir aber nochmal zur echten Lilie, Lilium candidum, die ja auch dem Plakat für die heutige Oasenzeit zu sehen ist. Sie ist über das Hohelied des Alten Testaments nämlich zu besonderem Ruhm als Marienpflanze gekommen. Deshalb steht sie auch hier im Mariengärtchen und hat gestern ihre erste Blüte geöffnet. Auf zahlreichen Gemälden und Bildteppichen des Mittelalters und der Renaissance erscheint die weiße Lilie als Attribut der Mutter Jesu und wird daher Madonnenlilie genannt. Sie symbolisiert die Reinheit und Keuschheit als Tugenden Marias und ist deshalb auf zahlreichen Verkündigungsdarstellungen zu sehen. Die weiße Lilie ist aber auch ein uraltes Lichtsymbol. Der Erzengel Gabriel überreicht Maria bei der Verkündigung einen Lilienstängel und unterstreicht damit seine Herkunft aus himmlischen Spären.

Bis ins 17. Jhdt. wird Maria mit der himmlischen Lilie gleichgesetzt, ebenso als Mittel gegen die teuflische Schlange und ihr Gift, gleichgesetzt mit der Erbsünde.

Als Heilmittel spielte die Lilie aber schon seit dem Altertum eine wichtige Rolle, vor allem zur Heilung von Wunden. Und tatsächlich soll die zerstoßene Lilienwurzel gegen Schlangenbisse wirksam gewesen sein. Hildegard von Bingen, die deutsche Benediktinerin, Äbtissin, Dichterin, Komponistin und bedeutende natur- und heilkundige Universalgelehrte empfahl eine Lilien-Salbe gegen Ausschläge, zur unterstützende Behandlung riet sie zum Trinken von Ziegenmilch.

Aber noch einen anderen Aspekt betont die die erste Vertreterin der deutschen Mystik des Mittelalters:
„Auch der Duft des ersten Aufbrechens, das heißt der Lilienblüte, und auch der Duft ihrer Blumen erfreut das Herz der Menschen und bereitet ihm richtige Gedanken.“


Text von Andrea Müller-Bischoff

 

« weitere Oasen-Zeiten