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Oasenzeit

Wenn der Frühling kommt ...

"Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unsres Gottes. Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott.“

Jesaja 35, 1-4

 

Glockenblumen, Klatschmohn, Kornblume, Kornrade, Venusspiegel, Ackergauchheil, Erdrauch, Reiherschnabel, Ackerrittersporn, Ackerringelblume, Echte Kamille, Guter Heinrich, Saatwucherblume, Frauenflachs, Ackerlichtnelke, Ackervergissmeinicht, Ackerstiefmütterchen, Odermennig, Ochsenzunge, Färberkamille, Wiesen-und Skabiosenflockenblume, Wegwarte, Wollköpf. Distel, Hundszunge, Wilde Karde, Wilde Kugeldistel, Natternkopf, Färberginster, Färberwaid, Herzgespann, Frauenflachs, Ginsterleinkraut, Moschusmalve, Wilde Malve, Rote und weiße Lichtnelke, Eselsdistel, Seifenkraut, Taubenkropf, Wiesenbocksbart, Königskerze, Eisenkraut, Muskatellersalbei, Origano, Karthäusernelke, Weiße Nachtnelke, Wilde Möhre, Pechnelke, Nachtkerze, Nelkenleimkraut…

Das sind die Namen einheimischer Wildblumen, die man hier in der Region anfinden könnte, auf Wiesen und Äckern, an Wegrändern, Böschungen, im eigenen Garten. Wilde Blumen, sie sind gemeint in unserem Bibeltext. Der Name Iris steht nur stellvertretend. Wildblumen sind einfach da und breiten sich aus, ohne dass irgendwer die Samen bewusst ausgestreut hätte.

Wo der Standort passt, säen sie sich selbst aus oder die Samen werden von Wind und Tieren weitergetragen.

So war es, bevor wir uns die Erde untertan gemacht haben und mit Profitdenken oder Unkenntnis die Böden bis in die letzten Ecken ausbeuteten. Heute überwiegen vielerorts Wüste und Einöde, Monokultur und industrielle Landwirtschaft, auch hier bei uns.

Unzählige Pflanzen und Tiere sind ausgestorben, verschwunden, ohne dass es uns wirklich auffiele. Denn was wir nicht kennen, vermissen wir auch nicht. Kindern, die nie eine blühende Wiese erlebt haben, wird auch nicht auffallen, wenn es sie nirgendwo mehr gibt. Sie haben dieses Wunder nicht erlebt: durch eine Wiese zu gehen, auf Augenhöhe mit den Blüten, Bienen, Hummeln und Schmetterlingen und was sonst noch kreucht und fleucht, summt und knispelt an den Ohren, einen Duft in der Nase, den man nicht mehr vergisst.

Haben wir daran gedacht, diese Oasen zu bewahren, haben wir den Kindern diese Wunder gezeigt? Es könnte bald zu spät sein.

Heute sterben jeden Tag etwa 150 Arten – Tiere und Pflanzen – auf dieser Welt aus, kehren nie wieder zurück. Das letzte große Sterben fand vor etwa 70 Millionen Jahren statt, Opfer waren unter anderem die Dinosaurier.

Mehr als eine Million der rund acht Millionen Tier- und Pflanzenarten könnten im Laufe der nächsten Jahrzehnte aussterben, wenn wir unsere Lebensweise nicht gravierend ändern – so die dringliche Mahnung des Weltbiodiversitätsrats. Jede Art, ob Tagfalter, Koralle, Teichfrosch, Kiebitz, oder oben genannte Wildblumen, erfüllt eine bestimmte Aufgabe im Ökosystem. Wenn eine Art ausstirbt, hat das immer auch Auswirkungen auf andere Spezies, auf das gesamte Ökosystem – und letztendlich auf uns Menschen.

Das ist beklagenswert, das ist zum Heulen und Verzagen.

Jammervoller Rückzug passt aber weder zu unserem Bibeltext, noch zum diesjährigen Fastenmotto der evangelischen Kirche: Leuchten! Sieben Wochen ohne Verzagtheit.

Was also tun, wenn die Nachrichten uns überrollen mit Katastrophenmeldungen, wenn man am liebsten den Kopf in den Sand stecken möchte?

Sehr heilsam und bereichernd kann es sein, die Augen und Ohren zu öffnen, unsere Sinne zu wecken. Achtsamkeit ist ein neuzeitliches Modewort, Achtsamkeitstraining kann man für Geld buchen. Was gemeint ist -  sich Zeit zu lassen und den Mikrokosmos um sich herum wahrzunehmen wie ein Kind. Staunend die Insekten in den Blüten beobachten, den Vögeln lauschen. Mit der Zeit erkennt man die Unterschiede und freut sich wie an Ostern, wenn man eine neue Art sieht oder hört. Anderen Menschen, Kindern und Erwachsenen zeigen: „Schau mal, was ich entdeckt habe.“ Das ist spannend und die eigene Begeisterung steckt an. Übrigens auch im Bibelgarten!

Neben der Freude über das Entdeckte komme ich zur Ruhe und empfinde Hochachtung und Dankbarkeit angesichts der Wunder in Gottes Schöpfung. Dann möchte ich mehr darüber wissen, ziehe Bestimmungsbücher und Apps zurate. Das finden auch Kinder toll, man kann sie z.B. anregen, Naturtagebücher zu erstellen, mit dem Handy lassen sich eindrucksvolle Fotos machen.

Was ich kenne, will ich schützen. Ich schaffe neue Lebensräume. Das geht auch im kleinsten Garten, oder auf dem Balkon.

Vielleicht etwas weniger gründlich aufräumen, einen Teil des Rasens seltener mähen, Totholz liegen lassen, Pflanzen ansiedeln, die Insekten, Schmetterlinge und Vögel anlocken. Zu diesem Zweck habe ich übrigens eine Samenmischung in kleine Tütchen getan, die man nachher mitnehmen kann.

An der Vollendung der Schöpfung mitwirken, daraus entstehen Momente tiefer Freude.
Damit die Wüste und Einöde frohlocken, und die Steppe jubeln wird wie die Lilien.


Text von Andrea Müller-Bischoff

 

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Vorfrühling

Da draußen rauscht der Regen,
Der Wind braust überm Land;
Doch leise webt den Segen
Des neuen Lenzes Hand.

Sie lockt aus Strauch und Bäumen
Der Knospen grünen Schein,
Sie schmückt mit lichten Säumen
Der Wälder düstre Reih'n.

Sie webt schon an dem Kleide
Der stillen Erdenbraut,
Die bald zu aller Freude
Dem Frühling wird getraut.

Mag jetzt der Sturm nur tosen,
Er knickt die Hoffnung nicht.
Bald winken uns die Rosen
Und blüh'n Vergissmeinnicht.

Emerenz Meier 1874-1928