Oasenzeit
Unterm Schirm des Höchsten
Wir sitzen hier auf dem Platz der Begegnung unter dem Maulbeerbaum, um den es heute geht. Wir können ihn ganz hautnah spüren, die Augen vom Grün seiner Blätter beruhigen lassen, den Stamm berühren, vielleicht das Rauschen der Blätter im Wind hören. Unser Maulbeerbaum, welch Geschenk in heißen Tagen!
Seit Eröffnung des Bibelgartens steht er hier, wächst und gedeiht, spendet Schatten und sogar Schutz vor Regen und lässt Staunen.
Die meisten Menschen, denen ich hier begegne, können ihn nicht benennen, aber manche Ältere aus der Gegend haben doch eine Erinnerung an eine Zeit, in der diese Baumart zu einem ganz bestimmten Zweck in der Region gepflanzt wurde.
Aber gehen wir zunächst zu den Anfängen.
Die Gattung Morus, Maulbeerbaum, umfasst 12 Arten und ist verbreitet in den gemäßigten und subtropischen Gebieten der Nordhalbkugel.
Morus Nigra, die schwarze Maulbeere. gelangte aus Persien schon vor langer Zeit ins Mittelmeergebiet. Griechische Dichter besangen den Maulbeerbaum, in ihrer Mythologie war er dem Hirten- und Waldgott Pan geweiht und galt als Symbol der Klugheit. Die Früchte sah man als eine Götterspeise an.
Plinius, der römische Naturgeschichtler, bezeichnete den Maulbeerbaum gar als den Weisesten der Bäume, da er seine Blattknospen erst entfaltet, wenn keine Fröste mehr zu erwarten sind. Wegen der wohlschmeckenden Früchte brachten die Römer sie auch nach Germanien.
Karl der Große fand ebenfalls Gefallen daran und empfahl seinen Untertanen den Anbau des Maulbeerbaums, weil er sich um deren Ernährungsvielfalt sorgte. Er hatte dabei die Früchte des Baumes im Sinn, und das Holz, das gute Klangkörper für Musikinstrumente hergab. Das Volk konnte mit Karls Idee nicht viel anfangen, die Aufzucht der Bäume war den einfachen Bauern wohl zu aufwendig. Dafür überlebte der Maulbeerbaum in Klostergärten. Die Mönche kelterten aus den Früchten leckeren Wein.
Ein mehr als 1000 Jahre alter Maulbeerbaum steht noch im Kloster Brauweiler im Rheinland.
Der weiße Maulbeerbaum, Morus alba, stammt aus Ostasien und wird dort seit 4.500 Jahren für die Seidenraupenzucht kultiviert. In den Bäumen nistet die Seidenspinner-Raupe, sie ernährt sich ausschließlich von diesen Blättern. Aus zehn Kilo des Kokons wird ein Kilo Rohseide gewonnen. Einer Legende nach soll der sagenumwobene chinesische Kaiser Fu Xi als Erster die Idee gehabt haben, aus dem Faden der Raupe Gewänder anzufertigen. Bald war es bei Todesstrafe verboten, die kostbaren Raupen, die Pflanze oder Samen außer Landes zu schaffen. Erst ab dem 2. Jh.v.Chr. gelangt Seide in die Welt hinaus, auf der berühmten Seidenstraße, der kontinentale Handelsroute zwischen China und Europa.
Auch das streng gehütete Geheimnis um das Verfahren der Seidenherstellung erreichte irgendwann Europa und schließlich im 18. Jh. den kurpfälzischen Kurfürst Carl Theodor. Was dem französischen König Ludwig XIV. gelungen war - eine florierende Seidenzucht - das wollte auch er haben. Luxus, wie Seide, Tapeten und Porzellan waren Carl Theodor wichtiger als etwa der Anbau von Nutzpflanzen zur Volksernährung wie es Karl der Große im Sinn hatte. In der Kurpfalz sollten jetzt 200.000 Maulbeerbäume kultiviert werden, die Bauern wurden beauftragt die Raupen zu züchten.
Auch Leutershausen gehörte zu Carl Theodors Herrschaftsgebiet. 1791 gab es hier 400 Maulbeerbäume.
Die Anlage und aufwendige Pflege der Raupen war bei den Bauern allerdings sehr unbeliebt, da sie im Frondienst erledigt werden musste. Weder Belohnungen noch Strafen konnten sie überzeugen, und so verschwanden die Bäume bereits 1793 wieder.
Im Dritten Reich erfuhr die Seidenraupenzucht eine Renaissance, der Anbau der Maulbeerbäume wurde von Hitler zur „nationalen Pflicht“ erklärt. Diesmal ging es um die kriegswichtige eigene Herstellung von Fallschirmen. In Ermangelung von Arbeitskräften sollten Schüler in den Volksschulen Seidenraupen züchten. Das wurde auch in Leutershausen befolgt und die nötigen Maulbeersträucher gepflanzt. Für Großsachsen existiert ein Dokument, dass die Gemeinde bereits 1939 Mitglied in der „Reichsfachgruppe Seidenbauer e.V.“ wurde.
Je länger der Krieg andauerte, desto schwerer wurde es, die Seidenraupenzucht fortzuführen. Im Juni 1943 konnten aus Holzmangel keine neuen Seidenbaugeräte hergestellt werden. Ein anderes Problem war die Witterung. Die Verpuppung dauerte bei den niedrigen Temperaturen in Deutschland sehr viel länger als geplant. Schon bald wurde klar, dass auch die Qualität der Schulseide für die Fallschirme nicht ausreichte. Also stieg man um auf japanischer Seide, die per U-Boot importiert wurde. Doch das wurde den Schülern und Lehrern verschwiegen. Denn jetzt ging es vor allem um erzieherische Zwecke.
Das Thema im Lehrplan hieß „Rassenzucht“ und wurde in die Unterrichtsabschnitte unterteilt: Ausmerze und Auslese, natürliche und künstliche Zuchtwahl, Seidenspinnerrassen und Rassenpflege bei den Haustieren. Der ganze Seidenbau war schließlich eine Veranschaulichung von Hitlers Rassenkunde und diente dem Zweck, die nationalsozialistische Ideologie zu veranschaulichen.
Schauen wir nun lieber auf die unschuldigen Eigenschaften, die der Maulbeerbaum außer seiner Schönheit zu bieten hat. In der chinesischen Medizin werden seit alter Zeit sowohl Rinde, Blätter und Früchte verwertet. Die Inhaltsstoffe sind beachtlich, die Liste der Indikationen lang. Die Früchte z.B. enthalten einige Vitamine, unter anderem Vitamin C, und das Antioxidant Resveratrol, die Mineralstoffe Kalium, Kalzium, Magnesium, Eisen, Zink und Mangan. Sowohl Früchte als auch Blätter sollen u.a. wirken bei Verstopfung oder zur Blutzucker- oder Cholesterinspiegelsenkung.
Früchte übrigens trägt unser schöner Baum nicht. Diese sterile Art von Morus alba ist mit Absicht gewählt worden, damit man hier auf dem Platz der Begegnung nicht vom Saft der reifen Früchte bekleckert wird. Damit diese schöne dachartige Kronenform entsteht, ist einiges an Pflege nötig. Der junge Baum wird am Ende seines geraden Stammes gekappt. Seitlich austreibende Triebe werden in ein Bambusspalier geflochten, senkrecht treibende schneidet man ab. Das Spalier ist jetzt nicht mehr nötig, aber der Formschnitt wird jährlich zwei Mal erledigt. Das übernehmen freundlicherweise zuverlässig die Profis im Bibelgarten-Team Dirk und Isabell Leistikow, die sich auch um die anderen Gehölze kümmern.
Ach ja, warum überhaupt gehört der Maulbeerbaum in den Bibelgarten? Im alten Testament ist er nicht direkt erwähnt, aber im neuen Testament im Lukasevangelium ist genau er gemeint, wenn Jesus den Glauben mit einem Senfkorn vergleicht. Schon ein Glaube so klein wie ein Senfkorn, könnte einen Maulbeerbaum entwurzeln und ins Meer verpflanzen, obwohl seine starken Wurzeln ein solches Unterfangen eigentlich unmöglich machen.
Text von Andrea Müller-Bischoff