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Oasenzeit

Die Fabel vom König der Bäume

"Die Bäume gingen hin, um einen König über sich zu salben. Und sie sprachen zum Ölbaum: Sei du König über uns! Der Ölbaum aber sprach zu ihnen: Soll ich mein Fett aufgeben, mit dem man Götter und Menschen ehrt, und hingehen, um mich über den Bäumen zu wiegen? Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: Komm du, werde du König über uns! Der Feigenbaum aber sprach zu ihnen: Soll ich meine Süsse aufgeben und meine köstliche Frucht und hingehen, um mich über den Bäumen zu wiegen? Da sprachen die Bäume zum Weinstock: Komm du, werde du König über uns! Der Weinstock aber sprach zu ihnen: Soll ich meinen Wein aufgeben, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, um mich über den Bäumen zu wiegen? Da sprachen alle Bäume zum Dornbusch: Komm du, werde du König über uns! Und der Dornbusch sprach zu den Bäumen: Wenn ihr wirklich mich salben wollt, damit ich König über euch bin, kommt und sucht Zuflucht in meinem Schatten! Wenn aber nicht, wird Feuer ausgehen vom Dornbusch und die Zedern des Libanon verzehren."

RICHTER 9, 8-15

Diese spannende Geschichte aus dem Buch Richter ist eine Fabel.

Vordergründig geht es um Bäume, ihren Wert, und ihre Bedeutung. Aber eigentlich geht es um etwas anderes: Martin Buber nannte die Geschichte in seinem Buch „Das Königstum Gottes“: „die stärkste antimonarchische Dichtung der Weltliteratur“. Ich erlebe sie als zeitlos und momentan hochaktuell.

Der alte König der Bäume - eine Zeder - ist gestorben, so dass ein Nachfolger gewählt werden muss. Dafür kommt nur ein ähnlich würdiger Baum in Frage.
Können auch wir uns in dieses Gleichniss einfühlen, wie die Menschen, die Jotam ansprach?
Was bedeuten uns Bäume?

Ich bin mit Bäumen aufgewachsen. Mein Großvater hatte eine Wiese mit Obstbäumen angelegt. Ihre Früchte waren eine wesentliche Bereicherung des Speiseplans in meiner Kindheit. Mein Vater hatte bis ins hohe Alter Freude daran, in die Birnbäume zu steigen, zum Schneiden, zum Ernten. Als er das nicht mehr konnte, litten auch die Birnbäume und mussten gefällt werden. Mit den Früchten hatte man Arbeit, aber auch den Genuss über den Winter. Apfelbäume, deren Früchte unbeachtet herunterfallen und vergammeln, das gab es nicht. Obst kaufen im Geschäft, das kam nicht infrage.

Vor ein paar Tagen habe ich mit Frau Bürgy gesprochen, der Ehefrau des kürzlich verstorbenen Edelbrenners Martin Bürgy. Sie erzählte mir von der tiefen Beziehung ihres Mannes zu den Bäumen, die er über viele Jahre gepflanzt und gepflegt hatte. Und wie er bittere Tränen weinte, als nach der Verpachtung eines Grundstücks die Bäume gerodet wurden.

Viele biblische Texten erzählen von der wichtigen Rolle der Bäume. Sie galten als lebensnotwendig und durften in einem Krieg nicht vernichtet werden. Trugen die Bäume Früchte, standen sie unter dem Segen Jahwes. Eine glückliche Zeit war dadurch charakterisiert, dass die Wüste zu einem Baumgarten wurde.
Für den biblischen Menschen zur Zeit der Jotam-Fabel war es völlig klar, welche Bäume besondere Bedeutung hatten. So konnte jeder Mensch, der die Fabel hörte, ihre Aussage sozusagen „durch die Blume“ verstehen.

Drei Bäume werden als Anwärter für das Königstum befragt:

Zu allererst der Ölbaum.
Seine Frucht sind die Oliven, daraus wird Öl gewonnen. Der Mensch des Altertums hatte längst nicht so viel Auswahl wie wir heute. Olivenöl war das Öl.
Vor kurzem habe ich in München eine Ausstellung der Antikensammlung besucht: „Neues Licht aus Pompeji“. Darin geht es um die Technik, Ästhetik und Atmosphäre des römischen Kunstlichts, das Ergebnis eines Forschungsprojektes. Wie haben die Menschen des Altertums und eben auch zu biblischen Zeiten für Licht in der Dunkelheit gesorgt? 180 Bronzeoriginale aus den Vesuvstädten Italiens werden gezeigt:  Öllampen, Kandelaber, Lampenständer und figürliche Lampen- und Fackelhalter. Um mit diesen Gefäßen Licht zu erzeugen, brauchte man vor allem eines - Fett. Neben Tierfetten war das ab etwa dem 6. Jh. vor Chr. vor allem das Olivenöl. Kerzen gab es erst ab dem 1. Jh. nach Christus, sie waren aber teurer als die Öllampen.
Außerdem wurde das Öl zum Kochen, für Seifen und im religiösen Kult verwendet. In der griechischen und römischen Antike wurden die Altäre damit begossen, um sie zu weihen. Je Baum rechnete man mit 20 Kg Ernte, daraus entstanden etwa 3 Liter Öl. Schätzungen zufolge dürfte der Verbrauch von Olivenöl allein in Rom jedes Jahr 25 Liter pro Kopf überschritten haben.
Weise und sich seiner Bedeutung bewusst, lehnt der Olivenbaum also ab. Um das Amt des Königs auszuüben, müsste er seine so wichtige Bestimmung aufgeben.

Als nächstes wird der Feigenbaum gefragt.

Auch dessen wichtige Funktion erschließt sich uns nicht gleich. Gewiss, ich freue mich auf die Früchte unseres Feigenbaumes wie über Erdbeeren. Aber lebensnotwendig? Für den Menschen des Altertums gehörten Feigenbäume zu den hochgeschätzten Fruchtbäumen. Feigen in getrocknetem Zustand dienten den gleichen Zwecken wie Brot und vergleichbare Nahrungsmittel. Dörrfrüchte, vor allem Dörrfeigen waren die wichtigsten Wintervorräte der Landbevölkerung. Der Anteil an essentiellen Inhaltsstoffen, wie Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe, ist in getrockneten Früchten bis zu fünf Mal höher als in frischen. Feigen gehörten neben Datteln zum Proviant der Nomaden oder Karawanen-Reisenden bei ihren Wüstendurchquerungen. Da Zucker noch nicht bekannt war, galt Feigensirup als ein wichtiges Süßungsmittel.
Verständlich, dass auch der Feigenbaum die vermeintliche Ehre des Königsamtes ablehnt.

Nun wird noch der Weinstock gefragt.

Und da stimmen auch wir sofort zu, wenn er die Absage begründet: „Soll ich meinen Wein aufgeben, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, um mich über den Bäumen zu wiegen?“ Nein, auf Wein wollen auch wir ganz entschieden nicht verzichten!

Wenn nach 3 Absagen nun der Dornbusch gefragt wird, leuchten jedem die Alarmlampen, so absurd ist das.
Dornen und Disteln stehen in der Bibel stets in Verbindung mit etwas Negativem. Wenn Dornen und Disteln die Macht im Weinberg erhalten, ist dies die Folge einer Verwünschung. So endet dann Jotams Fabel: Mit einem sarkastischen Kommentar stimmt der Dornbusch zu: „Kommt und sucht Zuflucht in meinem Schatten!“
Nur nutzlose Subjekte ohne Zukunft, wie der Dornbusch, geben sich also mit Herrschaft über andere ab.

Ein König, der bestimmt, was zu tun ist, kann sehr angenehm sein. Demokratie ist anstrengend. Ein gute Herrschschaft, die endlich Frieden schafft und alle Maßnahmen gegen Armut und Klimawandel schnell durchsetzt, das ist eine Sehnsucht, die auch mich manchmal überkommt.
Ein König, der sich nur über den Bäumen wiegt, ist mindestens sinnlos.

In Gottfried Kellers Gedicht „Waldlied“ soll jeder Baum ein König sein. „Arm in Arm und Kron an Krone“  heißt es in der ersten Zeile. Denn im sozialen Gefüge eines Waldes hat jeder seinen Platz und alle sorgen füreinander.

So könnte man die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre zusammenfassen, die Peter Wohlleben mit seinen Büchern und Filmen anschaulich erklärt hat.
Bäume kommunizieren untereinander, sie warnen sich gegenseitig, helfen einander und konkurrieren miteinander. Ihr Netzwerk besteht aus Leitungen im Stamm und den Baumwurzeln. Darüber sprechen Baumkrone und Wurzelspitzen miteinander – zum Beispiel, ob genug Wasser und Nährstoffe da sind. Um mit anderen Bäumen im Wald in Kontakt zu treten, verbünden sie sich mit Pilzgeflechten, die den Waldboden durchziehen. Darüber vernetzen sich ganze Wälder.
Über eine Art „Wood Wide Web“, verbinden sich Bäume zu einer Community – nicht nur in nächster Nachbarschaft, sondern über Hunderte von Metern und über die Artgrenzen hinweg.

Ein Wunderwerk der Schöpfung, gestaltet von einer höheren Kraft, die alles wohl geordnet hat.

Text von Andrea Müller-Bischoff


Zu dieser Oasenzeit gibt es auch eine » Ansprache.
 

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