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Oasenzeit

Der Granatapfel - Zeichen für Fruchtbarkeit und Segen

Hier oben auf dem Platz der Liebe steht der Baum, um dessen Frucht es heute geht. Im Juni trug er etliche Blüten, einige davon wurden auch befruchtet und bildeten Fruchtansätze aus, aber die hielten sich nicht. Nun steht er fruchtlos da. In den Herkunftsländern würde er jetzt reich tragen und ab September beernet werden. Zur Anschauung habe ich dieses Miniaturexemplar von zuhause mitgebracht - es trägt immerhin Blüten und kleine, allerdings ungenießbare Früchtchen.

Um "Punica granatum" geht es heute - die Pflanze mit der Frucht, die nicht nur reich an Kernen ist, sondern auch an Geschichte und Geschichten, Mythen und symbolischen Deutungsmöglichkeiten.

Ich habe mich gefragt, seit wann ich den Granatapfel überhaupt kenne. Ich vermute, die türkischen Gastarbeiter haben ihn und andere mediterrane Produkte durch ihre Gemüseläden mit den bunten Auslagen in unser Leben gebracht.

Der Name findet sich aber auch in anderen Zusammenhängen.

Als ich vor etwa 25 Jahren zum ersten Mal in Granada war, wusste ich nichts von der Herkunft dieses Städtenamens. Dort in der Umgebung wird die Frucht angebaut und wird seit der Übernahme der christlichen Herrscher im Stadtwappen geführt.

Woher hat wohl der Halbedelstein namens Granat seinen Namen?
Seit dem Mittelalter steht er in Beziehung zur Frucht. Das lateinische Wort "granum" heißt Korn oder Kern, "granatus" also körnig. Es bezieht sich auf das Vorkommen des Minerals in Körnern, welche Ähnlichkeit mit den Kernen des Granatapfels haben, aber auch auf die orangerote bis rotviolette Farbe, die beide gemeinsam haben.

Dass die unheilbringende Kriegswaffe Granate den Namen der Frucht trägt, die Fruchtbarkeit und Schönheit symbolisiert, darüber hatte ich nie nachgedacht. Wegen ihres Kernreichtums hiess sie mittellateinisch „malum granatum“, und so bezeichnete man später die mit Pulverkörnern gefüllte Wurfkugel als Granate.

Verheerende Wirkung hatte auch mein erstes persönliches Erlebnis mit der Frucht in meiner Küche. Beim Versuch die Kerne aus den Häuten zu lösen, hinterließen Spritzer des roten Saftes unauslöschliche Flecken an Wänden und Kleidung. Heute weiß ich es besser und benutze die saftigen Kerne gern in orientalischen Gerichten oder einfach als Salat- und Obstsalatzutat. In Israel haben wir natürlich den köstlichen Saft aus frisch gepressten Früchten genossen.

Bewusst oder unbewusst - der Granatapfel ist allgegenwärtig.

Und das hat zu tun mit seiner langen Geschichte und hohen Bedeutung im Mittelmeerraum. Der botanische Name Punica granatum zeigt die Herkunft aus dem römischen Punien (Tunesien) an. Aber schon in der griechischen und persischen Mythologie finden wir den Granatapfel als Symbol für Fruchtbarkeit, Schönheit und ewiges Leben, zugeordnet den jeweiligen Göttinnen.
Der Grund dafür sind die zahlreichen Kerne im Inneren der lederartigen Hülle. 613 Samenkörner sollen es sein, soviel wie die Gebote der Thora. So essen die Juden an Rosch Haschana, dem Neujahrsfest, Kern um Kern, damit sich so viele Wünsche wie möglich erfüllen mögen.
Der Koran erwähnt den Granatapfel dreimal. Er steht beispielhaft für die von Gott geschaffenen guten Dinge, die irdischen, aber auch die Paradiesesfrüchte und wird daher auch Paradiesapfel genannt. Apropos Paradies: Möglicherweise handelt es sich bei der unbenannten Frucht vom Baum der Erkenntnis um einen Granatapfel, es gibt entsprechende Theorien.
Die Bibel nennt ihn nur im Alten Testament. Beschrieben wird die Frucht als Zier des Saums jüdischer Priestergewänder, im Hohen Lied wird seine Schönheit mit der Wange der Freundin verglichen. Und er gehört zu den sieben Früchten des gelobten Landes, verspricht Gottes Segen und ein gutes und auskömmliches Leben für die Israeliten.

In christlicher Symbolik steht die Frucht wegen ihrer zahlreichen Kerne für die Kirche, ihre Einheit im Glauben und als Gemeinschaft der Gläubigen. So erscheint der Granatapfel in Mariendarstellungen als Verweis auf den Marientitel „Mutter der Kirche“. Zum Beispiel das in den Uffizien zu sehende wunderbare Gemälde von Boticelli „Madonna mit dem Granatapfel".

Zum Symbol weltlicher Herrschertugend wurde seit dem Mittelalter der Reichsapfel. Von Albrecht Dürer gibt es zwei Bildnisse Kaiser Maximilians I. mit dem Granatapfel in der Hand als Reichsapfels.

Als Dekor- und Schmuckmotiv und zum Färben wird der Granatapfel in vielen Kulturen verwendet und gelangt vom Orient auf kostbaren Stoffen und Teppichen nach Europa.

Bis ins 20. Jh, gehörte im deutschen Bürgertum ein Porzellanservice mit Zwiebelmuster zur Heiratsaussteuer. Aber - wer weiß das schon- das Zwiebelmuster stellt in Wahrheit keine Zwiebeln dar, sondern Granatäpfel, dazu Pfirsiche und Melonen – Symbole der Fruchtbarkeit und Langlebigkeit.

Kommen wir noch zu den gesundheitlichen Aspekten.
Wissenschaftlich belegt sind Antioxidantien, grössere Mengen Flavonoide und zahlreiche weitere gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe. Das wussten bereits die antiken Heilkundigen. Heute findet man in den Regalen der Reformhäuser Säfte, Kapseln und diverse Anti-Aging-Kosmetika.

Sehr bewegt hat mich der 2007 in den Kinos gezeigte Film nach dem Roman „Der Drachenläufer“ von Khaled Hosseini, eine erschütternde Freundschaftsgeschichte, die im Afghanistan der 70er Jahre beginnt. Neben dem Motiv des traditionellen Drachensteigens ist auch der Granatapfel ein Teil der Bildsprache. Vor der sowjetischen Invasion leben die Menschen in Kabul in Freiheit - man sieht vollhängende Granatapfelbäume und aufbrechende Früchte, die ihren roten Saft verschwenderisch verteilen.
Am Ende des Films, unter der Gewaltherrschaft der Taliban verschwindet die Lebensfreude endgültig - das Drachenspiel wird verboten und der Granatapfelbaum vom Anfang ist verdorrt. Kein Segen liegt mehr über dem Land.
 

Text von Andrea Müller-Bischoff

Zu dieser Oasenzeit gibt es auch eine » Ansprache von Pfarrerin Dr. Tanja Schmidt.

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