Oasenzeit
Es geht auch anders: Baumwolle
Schön und unschuldig sieht sie aus, weiß und flauschig, aber seit der Mensch ihren Wert erkannt hat, klebt Blut an ihr. Gewalt, Ungerechtigkeit und Naturzerstörung sind mit ihrem Siegeszug verbunden, bis heute. Die Baumwolle wächst, wie vom Namen her zu vermuten wäre, nicht auf Bäumen, sondern an Sträuchern. Die Gattung Gossypium ist eine Malvenart und so sehen die Blüten auch aus. Die Früchte bilden Kapseln aus, aus denen das wundersame Material herausbricht. Darin verbergen sich die Samen, die vor der Verwendung als Faser entfernt werden müssen.
Der Ursprung der Baumwolle vor Jahrtausenden liegt im heutigen Indien und Pakistan, gleichzeitig in Mexiko und Peru und im südlichen Amerika. Die ältesten archäologischen Belege für Baumwolle stammen aus Indien und können auf 6.000 Jahre v.Chr. datiert werden. In der Antike war bei Ägyptern, Griechen und Römern sowie im restlichen Europa die Verwendung von einheimischen Fasern wie Leinen, Hanf und Wolle üblich. Doch über die Seidenstraße gelangten auch in frühester Zeit teure Seide und Baumwollstoffe in den Mittelmeerraum.
Durch die Seefahrer auf Entdeckungsreisen und infolge der Kolonialisierungen wurden Baumwollstoffe im Mittelalter überall in Europa bekannt. Die Tuchweber in England verarbeiteten ab dem späten 17. Jahrhundert Baumwolle. Den Rohstoff bekamen sie aus den Kolonien und aus Amerika. Der Bedarf an Baumwolle wuchs und wuchs. Es wurden immer mehr Baumwollplantagen angepflanzt auf denen Sklaven arbeiten mussten. Mit dem Sklavenhandel wurde 350 Jahre lang viel Geld verdient und noch mehr Leid verursacht. Zwischen 1519 und 1867 wurden ca. 10-12 Millionen Afrikaner aus ihrer Heimat nach Amerika verschleppt. Auf welch grausame Weise das geschah und welche große Schuld weiße Profiteure, auch Christen, damit auf sich luden, ist unvorstellbar.
Auch Indien, eines der Ursprungsländer der Baumwolle wurde wegen dieses Rohstoffes ausgebeutet. Indische Bauern und Weber verloren ihr Einkommen. Mahatma Gandhi, der geistige Führer der Unabhängigkeit Indiens, machte das Spinnrad zum Symbol des gewaltlosen Widerstandes. Als Vorbild für alle Inder spann er seine Baumwolle selbst und rief dazu auf, keine billigen Baumwollstoffe aus England zu kaufen. Denn ein Zeitalter großer Erfindungen hatte begonnen - die Industrielle Revolution veränderte von nun an die Welt.
Auch in Europa führte die Industrialisierung zu Ausbeutung und Elend. Zuvor wurde die Verarbeitung der Baumwolle von Handwerkern in kleinen Werkstätten vollzogen. Mit der Erfindung der Entkörnungsmaschine und später großer, mit Dampfkraft angetriebener Webstühle war die industrielle Produktion billiger und schneller. Viele selbstständige Weber konnten damit nicht konkurrieren und verarmten. Und aus Armut mussten selbst Kinder in der Fabrik arbeiten gehen.
Schon 6-jährige Kinder arbeiteten 10 Stunden täglich in den verpesteten Arbeitshallen ohne Tageslicht. Sie bekamen weniger Lohn als die Erwachsenen und waren deshalb sehr begehrt. Auch heute gibt es noch Kinderarbeit auf Baumwollfeldern und in Webereien, damit billige Produkte auf den Markt geworfen werden können.
Zu all dem menschlichen Leid kommt bis heute ein ungeheueres Maß an Umweltzerstörung.
Die Baumwollpflanze ist ein tropisches Gewächs, sie braucht Wärme und viel Wasser zum Gedeihen. Der Anbau allein für ein T-Shirt verschlingt 2000 L Wasser. Andererseits kann die Frucht Regen nicht vertragen - die flauschige Wolle saugt sich mit Wasser voll und verfault. Deshalb wird sie in trockenen Regionen angebaut und künstlich bewässert. So zum Beispiel ab den 60ger Jahren am Aralsee zwischen Usbekistan und Kasachstan. Der drittgrößte Binnensee der Welt war einst 125 mal so groß wie der Bodensee, aber nach 50 Jahren Intensivanbau ist nicht viel geblieben. Der Wasserspiegel sank über 20 Meter. Schiffe liegen auf dem Trockenen, die einst florierende Fischindustrie kam zum Erliegen, Fischer wurden arbeitslos. Auch Trinkwasser fehlt, denn das restliche Wasser ist nun salziger als das Meer. Die Böden der intensiv bewirtschafteten Felder sind verseucht. Da die Pflanze sehr anfällig ist für Schädlinge, wird sie pro Saison etwa 30 mal gespritzt. Durch ständigen Eintrag von Dünger und giftigen Chemikalien und die Bewässerung mit dem stark mineralhaltigen Wasser versalzen die Böden und werden wertlos. Das schleichende Verschwinden des Aralsees gilt als eine der größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen. Der ständige Gebrauch von giftigen Chemikalien hat aber auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Bauern und der Arbeiter in der Weiterverarbeitung, die in den ärmeren Ländern meist ungeschützt spritzen. Die WHO schätzt jährlich 20.000 Tote durch Pestizidvergiftung im Baumwollanbau. Auch die Nutzung genmanipulierter Baumwolle ist nicht die Lösung. Das einjährige Saatgut ist extrem teuer, die Bauern müssen spezielle Düngemittel dazu kaufen und Gen-Baumwolle benötigt dreimal so viel Bewässerung. Trotz allem werden genauso viel Pestizide versprüht, da sich mittlerweile neue Schädlinge entwickelt haben und Gen-Baumwolle außerdem anfälliger für Pilzbefall ist. Viele Bauern verstricken sich in der Schuldenspirale, die Selbstmordrate indischer Baumwollbauern steigt seit Jahren. Große Agrarkonzerne wie Monsanto sind und bleiben in der Gen-Baumwoll-Industrie die einzigen Gewinner.
Diese deprimierenden Erkenntnisse können einen zur Verzweiflung bringen. All dieser Frevel, damit wir billige Kleidung konsumieren können.
Muss das so sein, gibt es keinen Ausweg?
Text von Andrea Müller-Bischoff
Dazu gab es auch ein Interview mit Gabriele Mihlan-Penk und Renate Rothe (PDF)