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Oasenzeit

Erdbeeren - Vorgeschmack des Paradieses


Hildegard von Bingen 

O viridissima virga 
Hymnus de Sancta Maria

Du Reis an sattestem Grün, sei gegrüßt!
Du hast dich gezeigt im Geisteswehen und Forschen von Heiligen.
Es kam die Zeit, da du in deinen Zweigen erblühtest,
Ave, sei gegrüßt!
Denn die Wärme der Sonne in dir
strömte aus wie duftender Balsam.

Denn in dir blühte auf die schöne Blume,
die ihren Duft gab allen Gewürzen,
die ausgetrocknet waren.
Und sie alle prangten nun in voller grüner Pracht.

Die Himmel ergossen den Tau über das Gras,
und die ganze Erde wurde mit Freude erfüllt,
weil ihr Schoß nun das Korn hervorbrachte
und weil die Vögel des Himmels ihre Nester auf ihr bauten.

So erhielten die Menschen ihre Speise,
und große Freude herrschte bei den Tischgenossen.
Und darum, du milde Jungfrau, fehlt es dir an keiner Freude.
Dies alles hat Eva für gering erachtet.

Nun aber sei Lob dem Allerhöchsten!


Erdbeeren sind himmlische Gewächse, kein Zweifel, alle lieben die süße Frucht und freuen sich auf die Zeit, wenn sie endlich reif werden. Daran ändert auch nicht, dass Erdbeeren inzwischen das ganze Jahr verfügbar sind. Wir können uns nicht mehr vorstellen, welche Bedeutung solche Geschenke der Natur im Mittelalter für die Menschen hatten. Nach langen, sehr kalten Wintern, Hungersnot und Elend muss das Erscheinen der kleinen roten Frucht wie ein Fest der Hoffnung gewirkt haben. Kein Wunder, dass die Erdbeere als Frucht des Paradieses gesehn wurde. Und sie Maria, der Mittlerin zwischen der himmlischen und irdischen Welt, zugeordnet wurde. So zeigen es auch zahlreiche Gemälde des Mittelalters.

Wir haben an diesem Ort bereits ein besonders schönes Bild mit Maria, Heiligen und vielen blühenden Blumen, Vögeln betrachtet - das Paradiesgärtlein eines oberrheinischen Künstlers, das im Städel hängt. 
Eine ähnliche Bildsprache beinhaltet das Gemälde, das wir heute betrachten wollen.

Die „Madonna in den Erdbeeren“ hat ihren Ursprung vermutlich im Kloster Gottstatt bei Biel und kam nach bewegter Geschichte nach Solothurn. Dort hängt es im im Kunstmuseum. Etwa 1425 entstand es und ist deutlich größer als das kleine Paradiesgärtlein. 

Das Bild zeigt den Typus der Madonna im Rosenhag. Maria als Himmelskönigin sitzt vor einem Rosenspalier, das sich von dem Goldhintergrund abhebt. Sie trägt eine Krone, auf der mit Perlen besetzt Lilienblüten dargestellt sind. Ursprünglich waren das echte Edelsteine, im Bildersturm der Reformation abhanden gekommen, und nach der Restaurierung im 19. Jh. durch Halbedelsteine ersetzt. Im Heiligenschein sieht man den Schriftzug „Santa Maria Virgo“. Das wäre gar nicht nötig gewesen zu betonen, denn die Lilien sind das Symbol für Reinheit und vielen Gemälden dieser Zeit neben Maria dargestellt. Sie trägt ein rotes Kleid und darüber einen blauen Mantel Auch die Farbgestaltung ist nicht zufällig. Blau, die Farbe des Himmels und des Meeres verknüpft göttliches, himmlisches und irdisches. Sie wird zur Farbe des Glaubens und der Treue. 

Neben Maria steht das Jesuskind, das einen Fayencekrug in der Hand hält. Das Muster des Krugs hat den Forschern übrigens Aufschluss gegeben über die zeitliche Einordnung des Gemäldes. Der Krug wird als ein Tränenkrüglein angesehen, also könnte es sich um ein Memorialbild für ein verstorbenes Kind handeln. 

Eine Legende will nämlich sagen, dass wir verstorbene Kinder Maria anvertrauen dürfen, sie will ihnen einen Zugang zum Paradies verschaffen. Maria führt die Kinder am Johannistag dort zu den schönsten Erdbeeren, wo sie sich sattessen können. 

Maria reicht Jesus eine weiße Rose, Symbol der reinen Liebe. Die weißen Rosen befinden sich auch im Spalier auf der rechten Seite, während links, auf der Herzseite rote Rosen ranken. Im Vordergrund der Wiese wachsen links Maiglöckchen, die der Lilie der Täler des Hohenlieds gleichgesetzt werden. Der englische Name drückt das noch aus: Lily of the Valley. Manchmal wird das Maiglöckchen auch anstelle der Lilie als Reinheitssymbol gebraucht. Rechts sind Märzenbecher zu erkennen, in denen die Stifterfigur kniet. Marias blauer Mantel ergießt sich in einen Teppich von Veilchenblättern. Veilchen, das Symbol für Bescheidenheit und Demut, Eigenschaften der Maria.

Sie sitzt auf einer sogenannten Rasenbank, ein mittelalterliches Gartenelement und auf etlichen Gemälden zu sehen. Dort wächst allerdings nicht Gras, sondern sie ist vollständig bedeckt von Walderdbeeren. Man sieht weiße Blüten, rote Früchte und die dreigeteilten Blätter. Die Erdbeere vereint in sich scheinbare Gegensätze: Zwar zählt sie zu den Rosengewächsen, bildet jedoch keine Dornen. Wenn sie schon  Früchte trägt, blüht sie immer noch. Diese Gleichzeitigkeit der Erdbeere entspricht symbolisch der Gleichzeitigkeit von «Mater et virgo», der Mutterschaft und gleichzeitigen unversehrten Jungfräulichkeit Mariens.

Die Dreizahl der Blätter entspricht der Dreifaltigkeit. Die weiße Farbe der Blüte deutet auf die Unschuld, das Rot der Früchte auf die Liebe, aber auch auf das Blut Christi und den Schmerz der Maria, wie auch bei den Rosen. 

„Rot und Weiß“ zugleich bei einer Pflanze lässt sich als Bild für die jungfräuliche Mutterschaft verstehen. 

Wie auch bei dem Paradiesgärtlein sind einige Vögel zu sehen. Ganz links im Spalier ein gelber Pirol, darüber eine Blaumeise, zwei Nachtigallen, eine Kohlmeise, ein Distelfink und ein Rotkehlchen. Das deckt sich mit der Paradiesvorstellung der damaligen Zeit. In den damaligen Erbauungsschriften wird der Vogelsang mit dem immerwährenden Engelsgesang im Himmel verglichen.
 


Erdbeer-Segen

Im Mittelalter fanden die Menschen gesegnete Ruhe im Anschauen der Erdbeere. Es gab viele Bilder von Erdbeeren in Gebetbüchern und heiligen Schriften. Wer sie anschaute, vergewisserte sich der Gegenwart und des Segens Gottes. Brautpaare und Neugeborene wurden mit Erdbeerranken geschmückt und zum Zeichen des Segens bekamen sie Erdbeerfrüchte als Geschenk.
Ruhe und Frieden finden in Gott. Den Segen Gottes spüren und uns laben am Quell des Lebens. Das ist unser Wunsch am Ende dieser Andacht.
Verteilen von Erdbeeren an alle Anwesenden.

Lernt von den Blumen des Feldes.
Sie sprechen von Gott und sind ein Segen.
Lernt von der Erdbeere.
Sie spricht von Gott und ist ein Segen –
in allen Stadien von Wachsen, Reifen und Neuwerden,
das sich schon ankündigt in neuen Blüten,
wenn gerade die Frucht geerntet wird.

Du Gott des Lebens:
Segne unser Wachsen und Werden,
von der Blüte zur Frucht und köstlichen Speise.
Segne unser Hoffen und Warten auf das Neue.

Die Ausläufer auf den Blattachsen der Erdbeere
kündigen die nächste Generation an:
Leben in Fülle,
ein nie endender köstlicher Segen.

Du Gott der Zeiten:
Segne unsere Mütter und Großmütter,
unsere Väter und Großväter,
segne alle Frauen und Männer,
die uns vorausgegangen sind,
alle, deren Segenserbe wir teilen.
Segne unsere Töchter und Söhne,
unsere Enkelinnen und Enkel,
alle Frauen und Männer,
die deine Zukunft des Lebens gestalten.

Die dreiteiligen Blätter sind je verschieden –
geeint in einem Blatt,
ein Symbol für die Verschiedenheit Gottes in der Einheit.

Du Gott der Verschiedenheit in Einheit:
Segne unsere unterschiedlichen Vorstellungen,
Erfahrungen und Ausdrucksweisen,
wenn wir von dir denken, reden
und mit dir in Beziehung treten.
Lass uns eins sein unter deinem Segen
und leben in der einen Liebe,
mit der du uns deine Phantasie
und deinen Reichtum schenkst.

Die Erdbeere – eine niedrig wachsende Pflanze:
ein Sinnbild echter, guter Demut.
Ihre blutrote Frucht:
ein Symbol für die Liebe Gottes,
die stärker ist als alles Leid, Unrecht und jeder Tod.

Du Gott des Lebens:
Segne unsere Würde
in allen auf- und absteigenden Situationen unseres Lebens.
Durchströme uns mit deinem Segen,
lass uns wachsen, werden und reifen
in deiner Gegenwart
und Ruhe finden in dir.

Amen.

Diesen „Erdbeer-Segen“ hat die Vorbereitungsgruppe für den Ökumenischen Frauengottesdienst beim Ökumenischen Kirchentag Berlin 2003 für die Teilnehmerinnen geschrieben. 

Einladung zum Essen der Erdbeere:
Die mittelalterliche Mystik sagt uns: Wer eine Erdbeere isst, ist eingeladen zum Mahl der Seligen und erhält einen Geschmack vom Himmel. Der Geschmack des Himmels ist: Freude, Ruhe und Frieden. So esst, verspürt den Segen und nehmt ihn mit in Euren Alltag.
 


Text von Andrea Müller-Bischoff 
 

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