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Oasenzeit

Begegnungen am Brunnen


5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. 6 Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. 7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen. 9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. – 10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. 

Johannes 4, 5-10


Wie froh sind wir hier im Bibelgarten einen Brunnen zu haben! Ein Garten ohne fließendes Wasser ist schwer zu pflegen, besonders in trockenen Sommern wie im letzten Jahre. Zwar sind die meisten mediterranen Pflanzen an Trockenheit gewöhnt, aber die Blumen im Mariengarten, das Blumenbeet, Gemüse und Kräuter überleben nicht ohne Wasser. 
2008 wurde der Bibelgarten feierlich eröffnet, das Wasser zum Angießen der frischen Pflanzungen schleppten wir vom Friedhof herbei. Ein Brunnen war zwar bereits mitgedacht worden, aber erst das entschlossene Handeln von Ernst Bock machte ihn möglich. Er finanzierte das Projekt und legte mit einem Helfer selbst Hand an. So hatten wir Anfang August schon wieder Grund zu feiern. 

Ohne Trinkwasser ist Leben ganz allgemein nicht möglich. Deshalb ist der Bau eines Brunnens ein Akt der Großzügigkeit und des Dienstes an der Gemeinschaft, da er lebenswichtiges Wasser für alle bereitstellt. In diesem Sinne sind alle, die hier gärtnern, dankbar für das fließende Wasser, das Ernst Bock möglich machte, immer wieder neu. Nicht nur ist der Brunnen nützlich, er fügt sich auch optisch perfekt ein an der Schwelle vom Thema Glaube zum Thema Hoffnung.

Eigentlich entspricht er nicht der Definition eines Brunnens, der nämlich muss tief in die Erde gegraben und von Grundwasser gespeist sein. Unser Brunnen ist ein Fake, er birgt einen Bottich und das Wasser kommt aus der Leitung, hat also sogar Trinkwasserqualität. Ich denke, man hätte hier sehr sehr tief bohren müssen, um auf Grundwasser zu stoßen. Damit wir nicht soviel kostbares Trinkwasser für den Garten verschwenden, sammeln wir noch Regenwasser vom Hüttendach. 

Aber wie es in unserem Bibeltext schon deutlich wird, ist ein Brunnen nicht nur eine Wasserquelle. In vielen religiösen Traditionen hat ein gemauerter Brunnen eine tiefe symbolische Bedeutung, die in antiken und vorgeschichtlichen Quellenkulturen wurzelt. Die tiefe Quelle des Brunnens kann als Symbol für das Unterbewusste oder das Göttliche im Inneren interpretiert werden, zu dem man durch das Wasser des Brunnes Zugang erhält. Ein gemauerter Brunnen fungiert in der religiösen Praxis als Ort der Reinigung, Erneuerung, Verbindung und Spiritualität. Wie etwa bei der christlichen Taufe, die ursprünglich eng mit der Vorstellung des sogenannten Lebensbrunnen verbunden war.

Im Brunnen manifestiert sich das Göttliche, das erzählen viele biblische Geschichten. Am Begegnungsort Brunnen treffen sich Menschen, die füreinander bestimmt sind, Isaak wirbt dort um Rebekka und Jakob sieht Rahel zum ersten Mal am Brunnen. Die vertriebene Magd Hagar erfährt am Brunnen die Engelsbotschaft, die ihr den Willen Gottes und den Sohn Ismael verheißt. 
Er kann ein Ort des Streites, aber auch des Friedenstiftens sein. Nachdem Abraham am Brunnen von Gott gesegnet wird, kommt Abimelech und schwört einen feierlichen Friedenseid. In der Josephsgeschichte erhält der Brunnen die Bedeutung der Erfüllung, die jedoch erst im späteren Verlauf erkennbar wird. Der Brunnen als Symbol der sich versagenden Geliebten klingt im Hohelied Salomos an, wenn es heißt: „Ein verriegelter Garten ist meine Schwester und Braut, ein verriegelter Garten mit versiegeltem Quell.“ 

Und so weiter - der Bibelserver gibt 61 Stellen an, in denen das Wort Brunnen vorkommt.
Auch in der griechischen, keltischen und nordischen Mythologie, in Literatur, Liedern, Psychologie und Traumdeutung ist der Brunnen ein beliebtes und wahrhaft tiefgründiges Motiv.

Wie auch in Märchen, die wir alle kennen. In „Frau Holle“ fungiert der Brunnen als Eingang zur Unterwelt und führt in das Wunderland der Frau Holle. Obwohl beide Töchter denselben Brunnen passieren, gerät nur der Guten der Durchgang zum Segen, der Bösen wird er zum Fluch. 
Im Märchen „Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich“  kann der Frosch das lebensrettende Brunnenwasser reinigen, weil sich die jüngste der drei Schwestern auf dessen Bedingungen einlässt. So gewinnt sie neben dem Lebenswasser für den kranken Vater auch den Prinzen.

In der Malerei der Renaissance steht der Lebensbrunnen oft in eingefriedeten Paradiesgärten oder satten grünen Landschaften. Vögel mit prächtigem Gefieder und rote Rosen geben dem Betrachter eine Vorstellung davon, wie das Paradies aussieht. Wie z.B. im Paradiesgärtlein des Oberrheinischen Meisters, das im StädelMuseum hängt. Da schöpft die hl. Barbara mit einem goldenen Löffel aus dem Lebensbrunnen.

In unserem gemäßigten Klima fehlt es meist nicht an Wasser, noch nicht. In den wachsenden Trockenregionen und Wüsten der Welt jedoch wird die Wassernot von Jahr zu Jahr größer. Da sind rituelle Handlungen und Gebete für Wasser nicht ungewöhnlich. Peter und Katrin haben ein bekanntes israelisches Tanzlied mitgebracht. Darin geht es aber auch nicht einfach nur um die Bitte um Regen, wenn es heißt:

Ushavtem mayim bessasson mimaynei hayeshua; : „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils. “ (Jes. 12,3 LUT)


Text von Andrea Müller-Bischoff 

 

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