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Oasenzeit

Alles hat seine Zeit


1 Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: 2 Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; 3 töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; 4 weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; 5 Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; 6 suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; 7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; 8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. 9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon. 10 Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. 11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende. 12 Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13 Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. 14 Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll. 15 Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist. Kohelet 3, 1-15


Dieses wunderschöne, geheimnisvolle Gedicht aus dem Buch Kohelet passt gut in den Herbst. Die Blätter verfärben sich und fallen, die Natur zieht sich zurück und bereitet sich auf die Ruhezeit des Winters vor. Die Zugvögel verlassen uns gen Süden, die Insekten suchen nach schützenden Behausungen. Alles verändert sich im Lauf der Jahreszeiten und vermutlich lieben die meisten Menschen diese Wechsel. Alles hat seine Zeit. 

Allerdings wird der Abschied vom Sommer oft schmerzlich empfunden, die Heiterkeit und Lebensfreude, die der Sommer mit sich bringt, ist vorbei. Da kommt vielleicht Wehmut auf, aber die darf auch sein - alles hat seine Zeit. Aber auch diese Zeit des Abschieds hat ihren Zauber. Beim Waldspaziergang staunen wir über die Farbpracht der Buchen oder hier im Bibelgarten die Glut des Amberbaums. Wenn dann noch die Sonne hineinleuchtet - kann es was schöneres geben? Wer sich mit dem Wechsel abfindet, genießt auch hier den Augenblick. 
Wir Gärtnerinnen und Gärtner leben seit 16 Jahren im Bibelgarten mit dem unausweichlichen Rhythmus von Werden und Vergehen, pflanzen und ausreißen. Gerade noch haben wir uns an den blühenden Rosen und Zistrosen erfreut, jetzt fegen wir Laub zusammen und schneiden verblühte Triebe ab. Wir haben das Getreide geerntet und beobachten nun die Kaki, die langsam Farbe bekommen und hoffentlich erntereif sind vor dem ersten Frost. 

Dieses ständige Werden und Vergehen geht in der Natur ganz von allein. Wenn der Mensch nicht störend eingreift, sorgen die Bäume und Pflanzen, die Pilze und Mikroben, selbst für Vermehrung und Erhaltung. 

Im Garten unterstützen wir dieses Geschehen in unserem Sinne. Hier pflanzen wir und dort reißen wir aus, hier säen wir und dort schaffen wir eine freie Fläche. Die achtsame Gärtnerin tut all das mit Bedacht und Liebe. Wir schneiden, wenn die Zeit dafür gekommen ist und die Pflanze nicht allzusehr leidet. Wir warten, bis die Früchte reif sind und ernten sie weder zu früh, noch zu spät. Alles hat seine Zeit. Wir haben ein Bild von einem Garten, dem wir folgen, so sanft geordnet wie nötig, so wenig gezwungen wie möglich. Das klingt nach Idylle, aber so ist es ja nicht. Wir müssen klar kommen mit den Kapriolen des Wetters, den unzähligen Schnecken, die in diesem Jahr über alles herfielen. Das Wildkraut wächst uns über den Kopf - im Birnbaum breitet die Waldrebe sich aus, und es sind oft nicht genug Mitgärtner da, um all das Wuchern im Zaum zu halten. Da kommt auch mal Ärger hoch und Sorgen machen sich breit.

Aber wenn wir hier miteinander tätig sind, ist es wie ein Fest. Wir genießen den Moment. Bei all den Terminen und Aufgaben, die jede so hat, ist das mittlerweile eine Kunst geworden. Beim Gärtnern aber vergessen wir unseren Alltag und seine Sorgen. Mit den Händen in der Erde sind wir mit allen Sinnen bei der Sache. Das ist enorm wohltuend und erholsam. 
Im Hier und jetzt und gleichzeitig auf die Zukunft hin. Vor einer Woche wurde das Getreide ausgesät, das vor dem Winter noch keimen soll. Die dicken Bohnen sind bereits gelegt, damit sie im Frühjahr einen Vorsprung haben. Dabei haben einige Konfirmanden geholfen und werden die weitere Entwicklung beobachten. Am 2. November bei unserem kommenden monatlichen Termin werden hoffentlich viele Hände 500 Blumenzwiebeln stecken. Sie ruhen dann in der Erde und warten, bis ihre Zeit gekommen ist. Auch wir warten und hoffen auf die Blüten, die uns dann im Frühling erfreuen. Alles hat seine Zeit. 

Wir bemühen uns, wir planen und bereiten vor und tun was wir können. „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon“.
Denn was herauskommt liegt weder allein in unserer Hand, noch können wir es festhalten. So wie der Rhythmus der Natur nicht von uns bestimmt wird, müssen wir darauf vertrauen, dass es gut wird. 

 


Text von Andrea Müller-Bischoff 
 

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