Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Oasenzeit

Die Wüste blüht

"Jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie. Sie wird prächtig blühen und sie wird jauchzen, ja jauchzen und frohlocken. Die Herrlichkeit des Libanon wurde ihr gegeben, die Pracht des Karmel und der Ebene Scharon. Sie werden die Herrlichkeit des HERRN sehen, die Pracht unseres Gottes.

Jesaja 35, 1

Wüste - Sandwüste, Steinwüste, Betonwüste, Asphaltwüste, Wüstenei, wüst, verwüsten - Worte, die sich von Wüste ableiten, erzeugen fast immer negative Bilder in uns. Daran ändert auch nichts, dass in den letzten Jahren Wüstentrips und Übernachtungen in der Wüste für stressgeplagte Wohlstandsbürger sehr hipp geworden sind.
Eine Wüste ist lebensfeindlich und unwirtlich, bedrohlich bis tödlich, es gilt sie zu überwinden und sie so schnell wie möglich zu verlassen. So auch im biblischen Kontext.

Dass die Wüste auch Wunder bereithält und staunen lässt, können Israelbesucher im Frühjahr erleben.
Von Ende Januar bis Ende Februar erstrahlt Israels Süden in knalligem Rot, wenn die Anemonen den westlichen Negev in ein Meer aus purpurnen Blüten verwandeln. Auch aus anderen kargen Regionen kennt man dieses Phänomen: Wenn der Winterregen niedergegangen ist, sprießen die in der Erde wartenden Samen und verwandeln sandig-steinige und ausgetrocknete Steppenlandschaften in einen blühenden Garten.

Ich stelle mir das so vor, wie hier bei uns nach diesem extrem trockenen Sommer. Die Wiesen und Wegränder, der Rasen im Garten, die Felder, der Waldboden waren völlig trocken und braun. Bereits im August raschelten gefallene Blätter unter den Schritten beim Waldspaziergang. Dann, Ende September, kam der Regen und nach einer Woche bot sich ein völlig verändertes Bild dar. Bis heute! Der Rasen strahlt geradezu in blendendem Grün, im Wald im Unterholz wuchert frisches Kraut, als begänne gerade der Frühling. Sogar die jungen Buchen trieben noch mal neue Blätter. Selbst der November lässt staunen mit Blüten im Garten und am Wegesrand.

Die Wüste blüht!

In unseren gemäßigten Zonen lassen sich trockene Sommer noch ganz gut verkraften, wenn im Winter ausreichend Regen fällt. Aber weltweit nimmt der Anteil der verkarsteten und ausgetrockneten Böden dramatisch zu. Jährlich ist ein weiteres Gebiet in der Größe von Irland von der sogenannten Desertifikation betroffen. Am Horn von Afrika bleibt seit Jahren die Regenzeit aus und treibt die Menschen in die Flucht - extreme Auswirkungen des Klimawandels. Wie sehnen sich dort Natur und Menschen nach der Zeit, in der Jesajas Prophezeiung von der blühenden Wüste Wirklichkeit wird!

Es gibt tatsächlich zahlreiche Projekte und Versuche, die Wüste zum blühen zu bringen und Mensch und Tier neue Lebensgrundlagen zu ermöglichen. Eine gelungene Initiative möchte ich hier vorstellen:

Tony Rinaudo wuchs im Norden des australischen Bundesstaates Victoria auf. Schon als Kind liebte er Bäume und er war berührt von Berichten über hungernde Kinder in Afrika. Nach seinem agrarwissenschaftlichen Studium entschied er sich als Entwicklungshelfer für eine Missionsorganisation nach Niger zu gehen. Das westafrikanische Land an der Sahelzone leidet regelmäßig unter Dürren und Hungersnöten. „Ich war davon überzeugt, dass es das Richtige war, aufzuforsten. Aber es hat nicht funktioniert. Jahr für Jahr pflanzte ich Bäume, probierte alle möglichen Methoden, verschiedene Arten und Pflanzzeitpunkte, aber die meisten gingen wieder ein. Das war sehr entmutigend.“ Die Bauern waren zudem ablehnend: „Wozu brauchen wir Bäume, wenn wir Hunger haben? Das ergab für sie keinen Sinn. Aber tief im Innern hatte ich immer das Gefühl, dass Gott mich und meine Frau nicht im Stich gelassen hat. Daher betete ich erneut zu ihm und bat ihn um ein Zeichen, was ich tun könnte.“ Was dann geschah: „Ich erkannte, dass die Lösung immer vor meinen Augen gelegen hatte. Auf den Feldern wuchsen Pflanzen, die wie Unkraut aussahen und nie höher als einen halben Meter wurden, denn die Bauern schnitten sie jedes Jahr vor der Regenzeit ab und verbrannten sie. Die Asche diente als Dünger für den Boden. Durch Zufall hatte ich mir aber eines Tages diese Büsche näher angesehen und da sah ich, dass es sich um die Triebe von Bäumen handelte. Ihr Wurzelwerk lebte unterirdisch weiter. Von da an hatte ich eine völlig andere Sichtweise auf das Problem.“

Es gelang Rinaudo das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen und sie zu überzeugen, einen Teil der Sträucher als Bäume wachsen zu lassen. Und es funktionierte.
Für sein Konzept einer »Farmer-managed natural regeneration« erhielt er 2018 den Alternativen Nobelpreis. Mittlerweile hat Rinaudos Methode in Niger rund fünf Millionen Hektar mit weit über 200 Millionen Bäumen wieder fruchtbar gemacht. In anderen Ländern Afrikas kommt sie nun auch zum Einsatz.

Die Wüste blüht!

Auch unter Menschen geht es wüst zu.
Konflikte, Kriege, Hass verfestigen sich über Generationen. Für Verständigung und Grenzüberwindung gibt es ebenfalls Projekte, die ein neues Miteinander entstehen lassen und Hoffnung machen.
Zum Beispiel das West-Eastern Divan Orchestra, das der argentinisch-israelische Dirigent Daniel Barenboim 1999 mitgegründet hat. Am Samstag Abend konnte man ein wunderbares Konzert mit dem Orchester und seinem Dirigenten auf 3Sat verfolgen. Die jungen Musiker kommen aus Ägypten, Syrien, Iran, dem Libanon, Jordanien, Tunesien, Israel, Palästina und Andalusien. Eines der Hauptziele ist es, das Orchester in sämtlichen Herkunftsländern der Musiker spielen zu lassen.
Barenboim sagt: „Der einzige politische Aspekt der Arbeit des West-Eastern Divan Orchestras ist die Überzeugung, dass es keine militärische Lösung des Nahost-Konflikts geben kann und dass die Schicksale von Israelis und Palästinensern untrennbar miteinander verbunden sind. Musik allein kann selbstverständlich nicht den arabisch-israelischen Konflikt lösen. Jedoch gibt sie dem Einzelnen (Musiker) das Recht und die Verpflichtung, sich vollständig auszudrücken und dabei dem Nachbarn Gehör zu schenken.“

Die Wüste blüht!

Auch im Bibelgarten haben wir geholfen, ganz vorsichtig gesagt, eine Wüste zum Blühen zu bringen. Wir haben einen Garten angelegt mit einer großen Artenvielfalt, der allerlei Besucher anlockt und ein Ort der Begegnung sein will. Etwas ähnliches kann jeder tun: Steinwüsten aufbrechen, Bäume pflanzen, Blumenbeete anlegen, Häuser begrünen, Menschen Gehör schenken - Zeichen der Hoffnung, Symbole für unsere Sehnsucht nach Advent, nach Licht in der Dunkelheit.

Quelle: DIE ZEIT 46/22 Interview mit Tony Rinaudo


Text von Andrea Müller-Bischoff
 

« weitere Oasen-Zeiten